Prioritätsrecht nach der PVÜ (1)

Wirksame Prioritätsbeanspruchung nach der Pariser Verbandsübereinkunft

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Teil 2: Eigentümerin des Prioritätsrechts
Teil 3: Identität bei Priorität nach PVÜ
Teil 4: Priorität erste Hinterlegung
Teil 5: Prioritätsrecht Formerfordernisse
Teil 6: PCT Anmeldung als erste Hinterlegung

Überblick

Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des geistigen Eigentums, üblicherweise nur kurz Pariser Verbandsübereinkunft oder PVÜ genannt, geht auf das Jahr 1883 zurück und wurde zuletzt 1979 geändert. Die Pariser Verbandsübereinkunft ist ein multilaterales Abkommen und regelt eine grenzüberschreitende Anerkennung gewisser Rechte unter den Mitgliedsstaaten, welche mit gewerblichem Rechtsschutz zusammenhängen. Weltweit gesehen sind die meisten Länder Mitgliedsstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft, derzeit 176 Länder. Die größte praktische Bedeutung der Pariser Verbandsübereinkunft kommt wohl Art. 4 PVÜ zu, worin das sogenannte Prioritätsrecht geregelt ist.

Was ist ein Prioritätsrecht?

Das Prioritätsrecht ist in Artikel 4B PVÜ definiert. Den etwas schwierig zu verstehenden Wortlaut dieses Artikels einfacher ausgedrückt regelt Artikel 4B PVÜ, dass ein Anmelder, der ein gewerbliches Schutzrecht (Patent, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Marke) in einem ersten Land als erste Hinterlegung angemeldet hat, den gleichen Zeitrang dieser ersten Hinterlegung hinsichtlich der Beurteilung der Rechtsbeständigkeit in einem weiteren, zweiten Land beanspruchen kann. Anders ausgedrückt offeriert die Beanspruchung des Prioritätsrechts somit die Option, den Zeitrang einer ersten Anmeldung in einem ersten Land für eine spätere Anmeldung innerhalb der Prioritätsfrist in einem zweiten Land zu sichern, sofern diese spätere Anmeldung innerhalb der sogenannten Prioritätsfrist eingereicht wird und die Option der Beanspruchung der Priorität innerhalb einer bestimmten Frist ausgeübt wird und bestimmte Voraussetzungen für die wirksame Beanspruchung der Priorität erfüllt sind.

Wer ist Inhaber des Prioritätsrechts?

Wie in Artikel 4A(1) PVÜ geregelt ist, steht das Prioritätsrecht der Anmelderin oder deren Rechtsnachfolgerin zu.

Artikel 4A(1) PVÜ: Wer in einem der Verbandsländer die Anmeldung für ein Erfindungspatent, ein Gebrauchsmuster, ein gewerbliches Muster oder Modell, eine Fabrik- oder Handelsmarke vorschriftsmäßig hinterlegt hat, oder sein Rechtsnachfolger genießt für die Hinterlegung in den anderen Ländern während der unten bestimmten Fristen ein Prioritätsrecht.

Auch wenn dies eher selten praktiziert wird, kann das Prioritätsrecht auch unabhängig von der Übertragung des zugrundeliegenden gewerblichen Schutzrechts von der ursprünglichen Inhaberin des Prioritätsrechts auf eine Rechtsnachfolgerin übertragen werden. Weil das Prioritätsrecht unabhängig von dem zugrundeliegenden gewerblichen Schutzrechts zu betrachten ist, ist es empfehlenswert, mit der Übertragungserklärung für das zugrundeliegende Schutzrecht auch ausdrücklich das Prioritätsrecht auf die Rechtsnachfolgerin zu übertragen. Auch wenn in den meisten Ländern mit der Übertragung des gewerblichen Schutzrechts auch eine Übertragung des damit verbundenen Prioritätsrechts angenommen wird, ist dies nicht in allen Ländern der Pariser Verbandsübereinkunft der Fall.

Welche Frist gilt für die Beanspruchung des Prioritätsrechts?

Artikel 4A(1) PVÜ regelt, dass die Anmelderin oder deren Rechtsnachfolgerin das Prioritätsrecht innerhalb der “unten bestimmten Fristen genießt“, welche Fristen, auch Prioritätsfristen genannt, gemäß Artikel 4C(1) PVÜ zwölf Monate für Erfindungspatente und Gebrauchsmuster sowie sechs Monate für Geschmacksmuster (Designs) als auch für Marken betragen. Gemäß Artikel 4C(2) PVÜ laufen diese 12/6-Monatsfristen “vom Zeitpunkt der Hinterlegung der ersten Anmeldung an; der Tag der Hinterlegung wird nicht in die Frist eingerechnet.“

Was ist der Umfang des Prioritätsrechts?

Eine oft übersehene Beschränkung des Prioritätsrechts folgt aus Artikel 4C(2) PVÜ, auch wenn diese Beschränkung als solche daraus nicht ganz offensichtlich sein mag, da Artikel 4C(2) PVÜ “Fristen“ betrifft. Letztlich folgt diese Beschränkung aus dem Wortlaut, dass diese Fristen “vom Zeitpunkt der Hinterlegung der ersten Anmeldung an“ zu laufen beginnen. Das bedeutet, eine zweite, spätere Anmeldung gleichen Inhalts kann in der Regel nicht rechtswirksam für ein Prioritätsrecht beansprucht werden. Rechtlich komplizierter wird es, wenn der Inhalt einer zweiten, später hinterlegten Anmeldung mit dem Inhalt der ersten Anmeldung überlappt, aber auch Inhalt aufweist, welcher über die erste Anmeldung hinausgeht, d.h. nicht in der ersten Anmeldung enthalten ist. In diesem Fall beschränkt sich der Umfang des Prioritätsrechts, welches aus der zweiten Anmeldung herleitbar ist, auf den sich nicht mit der ersten Anmeldung überlappenden Teil, der über die erste Anmeldung hinausgeht. Anders betrachtet löst die zweite Anmeldung keine neue 12/6-Monatsfrist für den sich überlappenden Teil aus, sondern nur für den sich nicht überlappenden Teil, welcher in der zweiten Anmeldung über den Inhalt der ersten Anmeldung hinausgeht. Für diesen sich nicht überlappenden Teil ist die zweite Anmeldung tatsächlich die “erste Hinterlegung“ im Sinne des Artikels 4C(2) PVÜ.

Gibt es Ausnahmen von diesem “erste Hinterlegung“ Erfordernis?

Die Antwort ist “ja“, es gibt eine Ausnahme, auch wenn diese in der Praxis eher selten zutrifft. Was muss also getan werden, um eine zweite Hinterlegung zur ersten Hinterlegung zu machen, um damit die volle 12/6-Monatsfrist für die Priorität und für den gesamten Inhalt der zweiten Anmeldung beanspruchen zu können? Dies ist in Artikel 4C(4) PVÜ geregelt und kann vereinfacht ausgedrückt so gesehen werden, dass die erste Hinterlegung vollkommen verschwinden muss, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, bevor die zweite Hinterlegung eingereicht wird.

4C(4) PVÜ lautet: „Als erste Anmeldung, von deren Hinterlegungszeitpunkt an die Prioritätsfrist läuft, wird auch eine jüngere Anmeldung angesehen, die denselben Gegenstand betrifft wie eine erste ältere im Sinn des Absatzes 2) in demselben Verbandsland eingereichte Anmeldung, sofern diese ältere Anmeldung bis zum Zeitpunkt der Hinterlegung der jüngeren Anmeldung zurückgezogen, fallengelassen oder zurückgewiesen worden ist, und zwar bevor sie öffentlich ausgelegt worden ist und ohne dass Rechte bestehen geblieben sind; ebenso wenig darf diese ältere Anmeldung schon Grundlage für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts gewesen sein. Die ältere Anmeldung kann in diesem Fall nicht mehr als Grundlage für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts dienen.“

Die meisten der “zweiten Hinterlegungen“ scheitern an einem oder mehreren der Erfordernisse nach Art. 4(C)(4) PVÜ, um hinsichtlich der Entfaltung des vollen Prioritätsrechts als “erste Hinterlegung“ zu gelten, beispielsweise wenn die erste und zweite Hinterlegung gleichzeitig anhängig waren (bei der ersten Anmeldung sind zum Zeitpunkt der Einreichung der zweiten Anmeldung noch Rechte bestehen geblieben), oder die erste Anmeldung diente bereits zur Beanspruchung des Prioritätsrechts (beispielsweise für die zweite Anmeldung). Die Beanspruchung eines Prioritätsrechts aus einer zweiten Anmeldung, welche bereits ihrerseits das Prioritätsrecht aus einer ersten Anmeldung beansprucht, bezeichnet man auch als Kettenpriorität.

Die üblichsten Szenarios, welche die Wirksamkeit des Prioritätsrechts beeinträchtigen können, d.h. zu einer teilweisen oder vollständigen Unwirksamkeit des Prioritätsrechts führen können und was dagegen unternommen werden kann, sind in den nachfolgenden Blogs diskutiert.

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Teil 2: Eigentümerin des Prioritätsrechts
Teil 3: Identität bei Priorität nach PVÜ
Teil 4: Priorität erste Hinterlegung
Teil 5: Prioritätsrecht Formerfordernisse
Teil 6: PCT Anmeldung als erste Hinterlegung

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